Donnerstag, 31. Juli 2008

Kunst, Ausdruck und Bedeutung

Ausdruck (expression) – wahrscheinlich ist dies einer der am häufigsten verwendeten Begriffe, wenn man über Kunst spricht. Auf den ersten Blick scheint dieser Begriff keine Schwierigkeiten zu bereiten. Zumindest im Westen, aber auch in anderen Teilen der Welt, scheint klar, wer oder was sich in der Kunst ausdrückt: natürlich das künstlerische Subjekt, bzw. dessen Gefühle, manchmal auch dessen Ideen, Anschauungen oder Erfahrungen. Ausdruck ist für unsere vom Individualismus geprägte Zeit ganz selbstverständlich immer der Ausdruck eines Individuums.

Als abstrakter Maler erlebe ich es oft, dass ich gefragt werde, was meine Bilder bedeuten – in China, wo viele Menschen noch kaum Kontakt zu abstrakter Malerei hatten, geschieht dies sogar noch häufiger als in Europa. Manchmal antworte ich dann: „Oh, nichts Bestimmtes“, halb im Ernst und halb aus Provokation, denn natürlich sehe ich in diesen Bildern eine Bedeutung: eben das, was sich darin ausdrückt. Abstrakte Malerei zeigt natürlich keine Gegenstände, keine Landschaften, keine Figuren – obwohl es legitim ist, das alles darin zu suchen. Sie eignet sich auch nicht zur Verbreitung einer Weltanschauung oder einer politischen Meinung. Also scheinen nur die Gefühle übrig zu bleiben und so ist es fast schon ein Allgemeinplatz, abstrakte Kunst als Ausdruck von persönlichen Gefühlen zu interpretieren. Auch das ist natürlich legitim, aber meiner Meinung nach verstellt gerade diese Interpretation den Blick auf das, was abstrakte Malerei darüber hinaus sein kann.

Gerade nämlich was die Gefühle angeht, greift die individualistische Deutung zu kurz. Gewiss habe ich als Maler Gefühle und sicherlich wird meine Malerei auch in einem gewissen Grad davon beeinflusst. Aber ebenso wie Musik nur möglich ist, weil Rhythmus- und Harmonieempfinden nicht bloß etwas Persönliches sind, sondern etwas, das alle Menschen weitgehend miteinander teilen, so ist auch abstrakte Malerei möglich und kommunizierbar, weil es ein Farb- und Formempfinden gibt, das wir mit vielen gemeinsam haben.

Malerei und Musik können uns gerade deshalb so stark ergreifen, weil das, was uns ergreift, nicht von außen kommt, sondern von innen. Es ist etwas, was wir als Menschen mit auf den Weg bekommen haben.

Eine andere Frage wäre, wer uns diesen Schatz geschenkt hat. Man kann, wenn man will, von einem Erbe der Evolution ausgehen oder von einem kollektiven Unbewussten im Jung’schen Sinne, man kann es sicher auch religiös erklären. Erklärungen gibt es viele. Welche davon man akzeptiert oder verwirft, das ist aber eine andere, wenn auch nicht unbedeutende Frage. Die Erfahrung selbst jedenfalls kann man unabhängig davon machen, wie man sie im Nachhinein interpretiert.

Kunst kann ein Weg sein, einen Teil unserer inneren Welt kennen zu lernen, der durch unser Alltagsbewusstsein verdeckt wird. Sie deutet auf unser verborgenes Potenzial und in diesem Sinne be-deuten abstrakte Bilder zwar in der Tat nichts Bestimmtes, aber sehr viel Ungeahntes.

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